Wirklich teures Papier

Ich bekenne, dass ich ein schlechter Unterstützer des deutschen Buchhandels bin, auch wenn ich immer wieder beinahe unbewusste Käufe in Buchhandlungen (so es die denn noch gibt) tätige und mitnichten aufs Geld achte. Aber die aufgeplusterten, in ihren leeren Rändern vergrößerten Bücher, die von der Bestsellerliste schreien: Kauf! Mich! Jetzt! können mir gestohlen bleiben. Ich habe vom letzten Arbeitstreffen in H eine Suhrkamp-Erstausgabe von Annie Ernaux „Eine Frau“ (Antiquariatsbeschreibung „Das perfekte Geschenk zum Muttertag“ – kein Witz) mitgenommen und mich gewundert, dass diese Bändchen neuerdings (also neuerdings…) so groß sind. Im Vergleich dazu ein älterer und in der Schriftgröße ähnlich großgezogener Braun.

Da wird einem noch was von teurem Papier erzählt, gebärmelt, dass man deshalb die Bücher auf über 20 Euro verkaufen müsse und dann diese elende Verschwendung. Und das ist wirklich Verschwendung. Denn bei den wenigen guten Gedanken, die in Ernaux Buch sind, fiel es mir schwer, irgendwelche Anstreichungen oder Anmerkungen zu machen. Das Buch wandert auch deshalb weiter in den Verschenkestapel.

Eher nicht dahin wollte ich hingegen ein Buch zurückbringen, was ich von eben diesem habe, Schirrmachers Minimum. Selten habe ich so ein in die Länge gezogenes, redundantes, labriges Buch mit einer derartig verzerrten und einseitigen Perspektive gelesen. Ja, Familie ist wichtig. Ja, ohne Familie geht man nicht nur im Wilden Westen (es gibt ja nur den) unter und wer keine Familie und viele Kinder hat, geht noch mehr unter. Wenn mal der Freizeitpark brennt. Oder im Leben. Wie schön von jemandem so eins um die Ohren zu bekommen, weil man sich ja bewusst entschieden hat, keine Kinder zu haben, weil die Familie bewusst wegen der Arbeit überall hin ziehen musste und nicht, wie noch vor knapp 70 Jahren, in ein und demselben Haus wohnte. Was für ein Mistbuch, was für gefährliche Gedanken, wie derartig einseitig und völlig ideenfrei. Was sollen Menschen machen, die eben keine Familie oder nur noch kleinste Reste davon haben? Schirrmacher bietet nicht eine einzige Lösung an. Da kommt nur die kalte Schulter, nur ein Tja. Aha. Vielen Dank auch. Da habe ich wirklich überlegt, ob man es irgendwem noch zum Lesen hinlegen sollte. Lieber nicht, aber jede andere Lösung ist noch weniger akzeptabel.

Aber um zurückzukommen: Teures Papier. Da wird mir jahrelang und permanent vorgeworfen, zuviel zu kopieren, da wird von allen Seiten das elektronische Format gelobt, dann nutze ich es, ziehe praktisch bis auf eine Kopie am Semesteranfang alles papierlos auf, spare so also knapp 9000 von 10 000 Blatt vom Jahreskontingent und all dem entgegen stehen solche Bücher: aufgeblasene Leitartikel, großgezoomte Alltagsbetrachtungen, teures Papier. Irgendwie scheinen die Jahre der Papierknappheit viel zu weit entfernt zu liegen, als man auf Zeitungsrändern in der Schule schrieb, als man kein Papier „vermóschen“ durfte (Wobei ich bei dem dialektal und umgangssprachlich genutzten Wort mittlerweile auch überlege, wieviel antisemitische Grundeinstellung bewusst/ unbewusst/ unreflektiert dahintersteckt).

Ich weiß, ich bin bei Büchern der Typ, der gerne weiter Bücher hätte. Aber keine solche, keine, die für 70 Seiten Text knapp 22 Euro verlangen (Jon Fosse: Ein Leuchten). Warum wird papierloses Arbeiten propagiert, warum regiert der moralinsaure Zeigefinger, wenn man nicht auf Schmierpapier Konzepte druckt (wenn man überhaupt druckt) und dann gibt es gleichzeitig diesen Irrsinn?



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